Er lebte nur für sich und hatte keine Freunde. Wenn er an Sonntagen allein ins Belvederespazierte, ging er manchmal an der Firma vorbei, an einem Schild auf einem Palais, schräg gegenüber vom Haus des Rundfunks. Er ging in morgendliche Parks und setzte in Gedankenseine Hausaufgaben fort. Unter all den Gleichgestellten war er der Beste und auch seine Chefs waren nur da und dort, nicht allenthalben, besser als er. Wenn er sie auf Dienstreisen begleitete, setzte er sie mit seinem Wissen und seiner Disziplin nie unter Druck. Jasogar bei Weinverkostungen machte er stets mit, obwohl er keinen Wein trank. Er stand strahlend und gelöst mitten in der Gruppe. Dabei entspannte er sich nicht bei Essen und Trinken, nicht bei Drogen und Sex, sondern erst bei Sport und Schachspielen gegen die Unperson, die Gruppe. Wenn er nicht arbeitete und sich seine Karriere nicht vorstellte, kasteite er sich selbst. Er turnte in seiner Wohnung, spielte Baskett–Ball in einem Verein und fuhr zum Jogging an den Stadtrand. In seinem Auto trank er isotonische Getränke, weil er für Lokale kein Geld ausgab und fremde Geselligkeit nicht sehen wollte. Zweimal in der Woche kam seine Schwester und berichtete von den Eltern. Wenn sie weg war, griff er zum Telefon, rief die Eltern in Lambach an und erzählte ihnen von seiner Schwester.
Eines Tages, nachdem die Projektgruppe, die er stellvertretend leitete, einen Entschluss gefasst hatte, sagte er Nein. Dieses Nein erzwang eine Nachdenkpause und veränderte den Entschluss. Es wurde akzeptiert, scheinbar beruhte es auf einer neuen Sicht. Sein zweites Nein, in einer anderen Gruppe, wurde als Querköpfigkeit empfunden. Am Ende war jedes Nein aus seinem Mund für niemanden eine Überraschung. Es war derÄrger, mit dem jeder rechnete, der ihn kannte und seinen Namen auf einer Sitzungsliste fand. Die Solidarität der Gleichgestellten hatte er nie gehabt, jetzt verlor er auch das Wohlwollen der Chefs. Man spielte jeder gegen jeden. Die Chefs moderierten das. Er deutete den Wettbewerb als Aberkennung seines Ranges und als Verhinderung seiner Karriere. Seine Vorgesetzten aber fanden ihn gut behandelt. Da wandte er noch mehr Zeit und noch mehr Kraft auf, während er weiterhin sachlich kritisierte. Der Personalchef nahm ihn eines Morgens beiseite und forderte ihn hinter einer Polstertür auf, sich eine Stelle anderswo zu finden. Da riss er die Augen auf und sah – das Böse. Das Recht, in dieser Firma zu sein und in ihr groß zu werden, war auf ihn übergegangen und kein Konzernherr und kein Arbeitsgericht der Welt konnten es ihm nehmen.
An einem Oktobertag 1985 steckte er eine Pistole und zwei Zehn-Schuss-Magazine in einen dünnen Mantel. Dann ging er von seiner Wohnung bis zum Tatort nur sechs Minuten. Er grüßte die Portiere von ESSO Austria um punkt 9 Uhr und war im Haus. Er betrat das Personalbüro und schloss hinter sich die Tür. Er sagte nichts und nahm die Pistole erst am Ende seines Weges aus dem Mantel. Der Personalchef wurde in Brust und Kopf getroffen, hatte nichts geahnt. Dann im Stiegenhaus fing der Mörder zu rennen an, als befürchtete er, dass die Schüsse gehört worden wären und die zweite Zielperson gewarnt sein könnte. Er eilte einen Stock höher und öffnete eine zweite Polstertür. Diesmal hatte er die Pistole schon in der Hand, als er die Türe schloss, sodass der Generaldirektor die Waffe sah. Er erhob sich mit Fluchtabsicht von seinem Sessel, doch der Mitarbeiter stand schon vor ihm und schoss ihn ins Gesicht. Der Generaldirektor fiel zu Boden und riss dabei den Sessel mit. Der noch junge Mann erschoss sich stehend oder kniend neben dem toten Chef, als hätte er sagen wollen: Ich gehöre zu euch.
© Martin Luksan
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